Sonntag, 20. Mai 2012

Die Rolle der Frau im Alten Testament



In einer Debatte mit zwei Zeugen Jehovas vor einiger Zeit, bei der das Thema "Ethik" im Vordergrund stand, wurde auch die Rolle der Frau in der Bibel kurz gestreift. Ich erinnere mich an viele Vorträge in der Versammlung, in der dieses Thema angeschnitten wurde. Texte wie Sprüche 31:10 werden zitiert, ".. ihr Wert ist wie der von Korallen..", die Männer werden ermahnt, gut auf "ihre" Frauen zu achten und sie zu respektieren. Und leise tönt durch: er gibt den Ton an, und sie folgt.

Vergleicht man diese Haltung mit dem Bild, das die Bibel zeichnet, so muss man dem "Patriarchat light" schon regelrecht dankbar sein. Das Alte Testament, seit jeher Sammlung von ethischen Entgleisungen, lässt auch die Frau nicht im Regen stehen.

Betrachten wir zunächst einige auffällige Eigenschaften des Alten Testaments und danach verschiedene Bibelverse, die deutlich Auskunft darüber geben, wie die Bibelschreiber über das weibliche Geschlecht dachten.

Grundsätzlich stellen wir fest, das fast alle Bibelbücher nach Männern benannt wurden. Auch wird in der Bibel nur selten von namhaften Frauen berichtet; die Hauptcharaktere der Bibel sind fast alle männlich. Die wenigen Frauen, die namentlich erwähnt werden, sind in der Regel die Ehefrauen, Mütter oder Töchter von bedeutsamen Männern, von denen die Bibel spricht.

Schon die Schöpfungsgeschichte lässt die Frau nicht sonderlich gut aussehen. Der Mann wird zuerst geschaffen; aus ihm entsteht dann die Frau. Laut der "Neue-Welt-Übersetzung" heisst es in 1. Mose 2: ".. Ich werde ihm eine Gehilfin machen als sein Gegenstück."
Wer hier die Betonung auf "Gegenstück" legen will, kommt trotzdem nicht am Wort "Gehilfin" vorbei. Die Hierarchie ist also von Anfang an festgelegt.

Und die Bibel rückt später nicht davon ab, im Gegenteil: auf die Schöpfung der Menschen folgt der Sündenfall, bei dem - wie könnte es anders sein - zuerst die Frau verleitet wird, die daraufhin den Mann verführt. Gestraft wird sie nicht nur wie der Mann durch Unvollkommenheit und Sterblichkeit, sondern auch durch die Geburtsschmerzen. Außerdem wird der Mann über sie herrschen (1. Mose 3:16). 

Und so geht es weiter.

Das erste Buch Mose zeigt bereits im Kapitel 19, wie wenig wert die Frau in den Augen der Bibelschreiber ist. 
Die Vorgeschichte: Lot und seine Familie leben in der Stadt Sodom. Eines Abends kommen zwei Engel in die Stadt, als Vorboten der Vernichtung. Lot lädt die beiden in sein Haus ein. 
Der Pöbel - angeblich bestehend aus der kompletten männlichen Bevölkerung der Stadt, vom Kind bis zum alten Mann - umstellt daraufhin das Haus und verlangt die Herausgabe der Männer, um sie zu vergewaltigen. Was ist Lots Idee zur Lösung der Situation? Er bietet der Meute seine Töchter, und preist sie sogar mit der Betonung auf ihre Jungfräulichkeit an. Die Situation geht glimpflich aus; die beiden Engel "retten" die Situation, indem sie Lot ins Haus holen und die Angreifer mit Blindheit schlagen.
Aussagekräftig ist hier nicht nur die Tatsache, das Lot seine jungfräulichen Töchter anbietet, sondern auch, das die Töchter in keinem Punkt zu Wort kommen. Sie werden weder namentlich erwähnt, noch wird ihre Meinung dazu angegeben. Wir wissen nicht, ob sie vorher gefragt wurden, ob sie sich freiwillig für die beiden Fremden opfern lassen würden. Wir wissen nicht, wie alt sie waren. All das spielte für den Schreiber dieser Geschichte keine Rolle.

Es gibt eine Geschichte, die große Ähnlichkeit mit dieser hat (Zufall?). Richter 19:22 - 28 berichtet von einer Begebenheit, die an Abartigkeit und Perversion kaum noch zu übertreffen ist.
Ein alter Mann lädt einen Reisenden zu sich nach Hause ein, damit dieser nicht auf dem "öffentlichen Platz" übernachten muss. Auch hier umringen "die Männer der Stadt" das Haus und fordern die Herausgabe des Reisenden, um ihn zu vergewaltigen - mit fast den gleichen Worten wie in der Geschichte von Lot. Auch dieser Hausherr hat eine fantastische Idee, die Situation zu befrieden.

Richter 19:24: "Darauf ging der Hausbesitzer zu ihnen hinaus und sprach zu ihnen: „Nein, meine Brüder, tut bitte nichts Unrechtes, da dieser Mann in mein Haus gekommen ist. Begeht nicht diese schändliche Torheit. 24 Hier sind meine jungfräuliche Tochter und seine Nebenfrau. Laßt mich sie bitte herausbringen, und vergewaltigt sie, und tut mit ihnen, was gut ist in euren Augen. Diesem Mann aber dürft ihr diese schändliche, törichte Sache nicht antun."
 
Wieder ist bedeutsam, das er die Jungfräulichkeit seiner Tochter betont. Mit der Meute ist nicht zu reden, und der Hausherr beschliesst zu handeln, "daher ergriff der Mann seine Nebenfrau und führte sie nach draußen zu ihnen hinaus; und sie begannen Verkehr mit ihr zu haben und fuhren fort, sie die ganze Nacht hindurch bis zum Morgen zu mißbrauchen, wonach sie sie, als die Morgenröte heraufkam, wegschickten.
 
Was für Qualen diese Frau durchlitten haben muss, ist kaum vorstellbar. Der Text gibt aber zu verstehen, das sie irgendwie überlebt hatte, denn schliesslich war sie laut dem Folgevers imstande, sich bis nach Hause zu schleppen, wo sie auf der Türschwelle stürzte und liegenblieb. Ihr "Herr" bemerkte dies leider erst am fortgeschrittenen Morgen, denn er lag selig schlafend im Bett: "Später am Morgen erhob sich ihr Herr und öffnete die Türen des Hauses und ging hinaus, um seines Weges zu gehen, und siehe, die Frau, seine Nebenfrau, [war] hingefallen am Eingang des Hauses, mit ihren Händen auf der Schwelle!" 
Seine Reaktion darauf:
"Da sagte er zu ihr: „Steh auf, und laß uns gehen.“ Aber niemand antwortete. Darauf lud der Mann sie auf den Esel und machte sich auf und zog zu seinem Ort."
Was folgt, bezeichnen wir heutzutage als Leichenschändung.
"Dann trat er in sein Haus und nahm das Schlachtmesser und ergriff seine Nebenfrau und zerlegte sie nach ihren Gebeinen in zwölf Stücke und schickte sie in jedes Gebiet Israels."

Auch hier erfahren wir wieder mit keinem Wort, wie die Frau hiess, was sie dachte, was sie wollte, wie sie sich fühlte und ob sie in den Entscheidungsprozess irgendwie mit ein gebunden war. Sie wurde ergriffen und der Meute vorgeworfen. Hier ist nicht von einem Individuum, einem Menschen die Rede, sondern von einem Ding, einem Objekt, mit dem Mann verfahren kann, wie Mann will. Ich kann mich in ausgedehnter Exegese versuchen und dem Hausherrn unterstellen, das mit ihr besprochen zu haben, so abstrus das auch klingen mag. Vielleicht hat sie ihre Einwilligung gegeben, vielleicht war das ihre Idee? Nichts in diesem Text deutet darauf hin. Wir wissen nur: der Hausherr ging raus, bot seine Nebenfrau an, ging hinein, "ergriff sie" und "führte sie hinaus". Nichts bietet uns einen Hinweis darauf, das mit der Frau auch nur ansatzweise wie mit einem menschlichen Wesen verfahren wurde.

Die gewünschte Rolle der Frau wird aber auch in biblischen Gesetzestexten klar umrissen. Im Folgenden einige Beispiele:
2. Mose 21:22 : "Und falls Männer miteinander raufen sollten und sie eine Schwangere tatsächlich verletzen und ihre Kinder wirklich abgehen, aber es entsteht kein tödlicher Unfall, so soll ihm unbedingt gemäß dem, was der Besitzer der Frau ihm auferlegen mag, Schadenersatz auferlegt werden; und er soll ihn durch die Schiedsrichter geben."

Verliert also eine Schwangere ihr Kind aufgrund von Fahrlässigkeit eines anderen, muss er dem "Besitzer" der Frau Schadensersatz zahlen. Denn in den Augen der Bibelschreiber war dieser der Geschädigte, und nicht die Frau, die hier nicht als Person angesehen wird, sondern als Eigentum, und damit auch das, was sie an ungeborenem Leben unter ihrem Herzen trägt. 

"...dann sollst du ihr die Hand abhauen."
5. Mose 25:11 : "Falls Männer miteinander raufen, und die Frau des einen ist herzugetreten, um ihren Mann aus der Hand dessen zu befreien, der ihn schlägt, und sie hat ihre Hand ausgestreckt und ihn bei seinen Geschlechtsteilen gepackt, 12 dann sollst du ihr die Hand abhauen. Es soll deinem Auge nicht leid tun."

Als ich diesen Text zum ersten Mal las, war ich vor allem von der beschriebenen Szenerie belustigt. Darüber hinaus gibt es hier definitiv nichts zu lachen. Es gibt verschiedene Interpretationsversuche für diese Bibelstelle; Zeugen Jehovas argumentieren, diese Regel wäre von Gott zum Schutz der Fortpflanzungsfähigkeit eingeführt worden. Gleichzeitig führen sie an, die Frau wäre der Besitz ihres Mannes:

Einsichten Band 2, "Strafe und Verbrechen", Seite 1203: "Dieses Gesetz zeigt deutlich Gottes Achtung vor den Fortpflanzungsorganen.
Da die Frau außerdem das Eigentum eines Mannes war, berücksichtigte dieses Gesetz barmherzigerweise das Recht des Mannes, von seiner Frau Kinder zu haben.
"

Wenn Gottes "Achtung vor den Fortpflanzungsorganen" so groß war, warum finden wir dann keine Bibelstelle, in der das "Packen" in den weiblichen Genitalbereich unter ähnlich archaische Strafe gestellt wird? Warum wird jemandem, der durch Fahrlässigkeit eine Fehlgeburt erzeugt, lediglich Schadensersatz auferlegt, während das bloße "Packen" der männlichen Geschlechtsteile bereits brutale Verstümmelung nach sich zieht?

Und es wird nicht besser.
5. Mose 5:21 : "Auch sollst du nicht die Frau deines Mitmenschen begehren. Ebenso sollst du nicht selbstsüchtig nach dem Haus deines Mitmenschen verlangen, nach seinem Feld oder seinem Sklaven oder seiner Sklavin, seinem Stier oder seinem Esel oder nach irgend etwas, was deinem Mitmenschen gehört."

Auch hier wird Diebstahl und Habgier nicht von Ehebruch getrennt, die Bibelschreiber sehen keinen Unterschied darin, ob jemand den Acker des Nachbarn will oder seine Ehefrau. Besitz ist schliesslich Besitz.

Mit Kriegsgefangenen wussten die Israeliten noch nie wirklich sensibel umzugehen; man erinnere sich nur an den Genozid, den die Israeliten unter Moses laut 4. Mose 31:17 in Midian begingen - dort liessen sie den männlichen Teil ihrer Kriegsgefangenen exekutieren und verschonten dabei ausdrücklich nicht einmal Kinder. Wen wundert da der folgende Text.

5. Mose 21:10 - 14 : "Falls du zur Schlacht gegen deine Feinde ausziehst und Jehova, dein Gott, sie in deine Hand gegeben hat und du sie gefangen weggeführt hast, 11 und du hast unter den Gefangenen eine Frau gesehen, schön von Gestalt, und du bist ihr anhänglich geworden und hast sie dir zur Frau genommen, 12 dann sollst du sie mitten in dein Haus bringen. Sie soll jetzt ihr Haupt scheren und ihre Nägel zurechtmachen 13 und den Überwurf ihrer Gefangenschaft von sich ablegen und in deinem Haus wohnen und einen ganzen Mondmonat um ihren Vater und ihre Mutter weinen; und danach solltest du Beziehungen mit ihr haben, und du sollst sie als deine Braut in Besitz nehmen, und sie soll deine Frau werden. 14 Und es soll geschehen, wenn du an ihr kein Gefallen gefunden hast, daß du sie dann wegsenden sollst, so wie es ihrer eigenen Seele beliebt; doch sollst du sie keinesfalls um Geld verkaufen. Du sollst sie nicht auf tyrannische Weise behandeln, nachdem du sie erniedrigt hast."

Ins Kurze und Saloppe übersetzt: Findest du unter den traumatisierten Kriegsgefangenen 'ne Frau, die dir gefällt, nimm sie dir mit nach Hause, lass sie ein paar Wochen trauern, um sich in Sicherheit zu wiegen, danach kannst du sie flachlegen. Hast du kein Interesse mehr an ihr, schick sie weg. Sie wird sicher gut zurechtkommen, allein, verlassen und mittellos in der Nation, die die ihre ausgelöscht hat, durch das geschorene Haar gebrandmarkt und für jedermann als ehemalige Kriegsgefangene sofort erkennbar.

Der Hinweis darauf, sie nicht tyrannisch zu behandeln, nachdem sie erniedrigt wurde, wirkt hier wie blanker Zynismus.

Betrachtet man obige Verse vor dem Hintergrund der patriarchaischen Gesellschaftsstrukturen der damaligen Zeit, wundert man sich nicht über so unverhohlen menschenverachtende und frauenfeindliche Zeilen - so war diese Zeit, und das ist schlimm genug. Gehe ich aber von göttlicher Inspiration aus, frage ich mich, warum er Frauen so gering wertschätzt und wie das mit seiner oft umschriebenen Liebe zur Menschheit einher gehen kann.

Fazit: Die Frau gilt im Alten Testament nicht mal ansatzweise als eigenständiges, rechtsfähiges Individuum. Als Tochter ist sie der Besitz ihres Vaters, der offensichtlich frei über sie verfügen kann, als Ehefrau ist sie dann ihrem Mann als Nachkommenserzeugerin verpflichtet. Mehrere Texte belegen deutlich, das auch genau so mit ihr verfahren wurde - sie war mehr Wertgegenstand als Mensch. An Rechten wird ihr nur zugestanden, was absolut nötig ist, und manchmal nicht einmal das.

Selbstverständlich finden wir Bibelverse, die die Frau preisen als wunderbares Geschöpf Gottes, die den Mann ermahnen, sie gut zu behandeln, und die ihre Rechte betonen. Fast, als wolle man Abwertung und Aufwertung in einer Waage gegeneinander aufrechnen, versuchen bibeltreue Christen, durch Aufzählen solcher Verse obige Zitate "auszugleichen". Tatsache ist, das so etwas schlicht und einfach nicht funktioniert. Wenn zehn von hundert Airbusmaschinen gleich bei ihrem ersten Flug explodieren, wird sich Airbus wohl kaum mit dem Argument aus der Verantwortung stehlen können, die restlichen neunzig würden aber in der Luft bleiben.

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